Warum ein Erotik-Kino in Dresden noch immer Kunden hat
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Source: DNN - Dresdner Neueste Nachrichten
Author: Christoph Pengel
Dresden. Es darf nicht zu kalt sein im Laden. 20 bis 21 Grad sind es heute, die Gäste, vor allem Männer, sollen sich wohlfühlen. Vanilleduft erfüllt den Raum. Ein weinroter Vorhang verdeckt das Fenster. Der Teppich ist grau und sauber, die Wände hell, im Radio läuft Pop-Musik. An der Theke lehnt Ronny Frenzel - sanftes Lächeln, freundliche Augen - und gibt leise Auskunft. "Es muss ja diskret zugehen", sagt er.
Jeder in der Neustadt kennt den Laden. Aber niemand, den man fragt, war jemals drin. Dafür hat sich der Erotikmarkt erstaunlich lange gehalten. Zu DDR-Zeiten war hier, an der Louisenstraße, eine Drogerie, der Inhaber versandte Kondome in die ganze Republik. Nach der Wende wurde daraus "Hannelores Erotikshop".
1998 übernahm der Vater des jetzigen Betreibers das Geschäft. Nun setzt der Sohn, Ronny Frenzel, die Tradition fort. Er verkauft noch immer Erotik-Artikel und betreibt ein Sex-Kino. Und das, obwohl es Pornos im Internet gratis gibt. Obwohl man Dildos auch online bestellen kann. Wie kann es sein, dass sich Frenzels Laden bis heute hält?
Eine kurze Führung. Unten, in dem Raum, den man als Besucher zuerst betritt, sind Videos aufgereiht, hunderte DVDs in Metallkörben: Die Tochter vom Weihnachtsmann. Bad Dads. Perversion unter der Schuluniform. An einer Wand: Hefte, auf deren Titelseiten halbnackte Frauen posieren. An der anderen Wand: Wäsche, Latex, Lack und Strümpfe.
Über ein Treppchen führt Frenzel in den zweiten, etwas höher gelegenen Raum. Ob er mal was Skurriles zeigen kann? Frenzel beugt sich nach vorne und hebt einen kreiselförmigen Gegenstand an. Ein Butt-Plug, so groß wie ein Blumentopf. Für den Hintern. Steckt man da rein. Bitte? "Ich hab's nicht ausprobiert", sagt Frenzel.
Man muss sich den Sexshop-Besitzer mit einer gedämpften, wohltemperierten Stimme vorstellen. Frenzel redet über Peitschen und Peniskäfige, als ginge es um Bleistifte und Tonpapier. "Ob ich nun so was verkaufe oder Klamotten - was soll daran komisch sein?", fragt er. Sein dezentes Auftreten wirkt wie der Versuch, Normalität in einer Umgebung auszustrahlen, die für viele Menschen eben nicht normal ist.
"Normal" ist auch das Wort, das er selbst immer wieder benutzt, wenn er über den Laden und seine eigene Geschichte spricht. Dass er einmal in dieser Branche arbeiten würde, stand für ihn früh fest. "Ich bin damit aufgewachsen", sagt Frenzel. Zuhause sei ganz offen über die Arbeit des Vaters geredet worden.
In den frühen 90er Jahren entstanden im Osten plötzlich überall Erotikshops. Diesen Aufbruch beschreiben die Soziologin Uta Bretschneider und der Historiker Jens Schöne in ihrem neuen Buch "Provinzlust". Demnach waren Pornografie und Sexshops in der DDR verboten gewesen. Nach der Wende brummte das Geschäft dafür umso mehr. Menschen, die offenbar viel nachzuholen hatten, standen vor den Läden Schlange.
Doch nach wenigen Jahren verflog die Aufregung. Laut Bretschneider und Schöne wurden zwei Drittel der neu eröffneten Sexshops in Deutschland bis 1995 wieder geschlossen - wohl auch aus Enttäuschung über die Qualität der westlichen Pornografie-Artikel, wie Forscher vermuten.
Frenzels Vater gehörte zu den Pionieren in Dresden. Und er sollte länger durchhalten. Sein erster Erotik-Shop wurde 1990 an der Trachenberger Straße eröffnet. Als er später in den Laden an der Louisenstraße zog, hatte Ronny Frenzel gerade seine Lehre als Kfz-Mechaniker beendet. Dennoch stieg er beim Vater ein. Die Aussicht auf Selbstständigkeit erschien ihm attraktiver als ein Angestellten-Leben in der Werkstatt.
Bereut hat er das nicht. "Die Kunden, die reinkommen, sind immer cool drauf", sagt er. Wobei es natürlich weniger geworden sind, deutlich weniger. Früher war Montag der beste Tag. Kein Wunder, sonntags war geschlossen, bei den Kunden hatte sich Lust angestaut, mutmaßt Frenzel. Damals standen Videokabinen in den Ecken. 15 Programme. Eine Mark, zwei Mark, fünf Mark, je nach Dauer.
Die Kabinen wurden längst ausgebaut. Zu gering waren die Einnahmen. Videos werden heute zwar noch verkauft, aber nicht mehr verliehen. "Reich wird man hier nicht", sagt Frenzel, und die Frage ist ja, warum und wie lange überhaupt noch Menschen hier herkommen, um sich Filme im Kino anzuschauen statt im Netz.
"Die neuesten Filme kriegt man nicht im Internet", sagt Frenzel. Einige Kunden seien außerdem unsicher in der Online-Welt, sie hätten Angst, Spuren zu hinterlassen und entdeckt zu werden. Andere wollten Pornos lieber im Großformat sehen statt auf dem kleinen Computerbildschirm. Zudem ist Frenzel der Meinung, dass er etwas bieten kann, was es im Internet nicht gibt: Service.
Service sieht dann zum Beispiel so aus: Ein Mann kommt herein, und noch ehe die Tür zufällt, eilt Frenzel in ein Hinterzimmer, öffnet den Kühlschrank, greift nach einer Cola-Flasche, eilt zurück zur Theke, reicht dem Kunden die Cola, und mit dem Getränk in der Hand verschwindet der Kunde im Nebenraum - dem Kino.
Man kennt sich, man vertraut sich. Fragen danach, was im Kino passiert, will Frenzel am liebsten gar nicht beantworten -zum Schutz seiner Kunden. Klar ist nur: Da sitzen Gäste auf Sofas und schauen Pornos. Ein Tagesticket kostet neun Euro. Kunden können zum Beispiel morgens, 11 Uhr kommen, zwischendurch nach Hause gehen und nachmittags nochmal vorbeischauen. Mehr gibt Ronny Frenzel nicht preis.
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So offen und freundlich er wirkt, so klar sind die Grenzen, die er zieht. Frenzel erzählt, dass ein Großhändler vor Jahren Sexpuppen in Form von Schafen anbot. Darüber konnte er nur den Kopf schütteln. Bei ihm wurden die Puppen nicht verkauft.
Und einmal kam jemand herein, der seinen Laden für einen Puff hielt. "Habt ihr Frauen?", wurde Frenzel gefragt. Nichts könnte ihm, dem netten Sexshop-Besitzer, ferner liegen. "Ich will ein ruhiges und ordentliches Leben führen", sagt er.