Erst Kunden weg, dann Ziegen: Trotzdem gibt das Ökodorf Brodowin nicht auf
Source: MAZ - Märkische Allgemeine
Author: Rüdiger Braun
Brodowin. Der Abschied von seinen Ziegen ging Ludolf von Maltzan zu Herzen. Vor gut einem Monat musste er die rund 300 Tiere verkaufen. Eine Handvoll behielt er als Haustiere. "Man kann sie eigentlich nur liebhaben", sagt der Chef des Ökodorfes Brodowin (Barnim).
Brodowin, das im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin gelegene Angerdorf, gilt als ökologisches Vorzeigeprojekt. Regional, ökologisch, frisch, dem Tierwohl und dem Umweltschutz verpflichtet: So beschreibt der Hof selbst seine Überzeugungen.
Mit seinen rund 1200 Hektar Wirtschaftsfläche gehört das 2011 eröffnete Ökodorf deutschlandweit zu den größten Demeter-Betrieben. Vor einem Jahr besuchte sogar König Charles III. den Hof und probierte einen kunstvoll zu einer Krone geformten Käse. Doch schon damals war der Betrieb schon ins Straucheln geraten. Von Maltzan spricht von "einer wirklich schwierigen Zeit".
Von seinen Ziegen musste sich von Maltzan trennen, weil seine Kunden immer mehr auf pflanzliche Milch umstiegen. Die 150.000 Liter Ziegenmilch im Jahr ließen sich einfach nicht mehr absetzen. Doch die tatsächlichen Schwierigkeiten des Ökodorfes liegen laut von Maltzan woanders.
Sie begannen, wie bei so vielen Öko-Betrieben, mit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Die Preise stiegen - und bei den ohnehin etwas teureren Bio-Produkten griffen selbst treue Kunden lieber zur Discounter-Ware.
"Von der Politik ging die Botschaft aus: Leute, ihr müsst euer Geld zusammenhalten", sagt von Maltzan. Hofprodukte sind teuer als konventionell erzeugte Lebensmittel. Tatsächlich zahlt man für die Secherpackung Brodowiner Eier mit 4,49 Euro etwa 1,10 Euro mehr als für die Bio-Eier im Supermarkt.
Die Kaufzurückhaltung hatte drastische Konsequenzen für das Ökodorf. Um die 40 Prozent sanken die Lieferungen nach Berlin und ins Brandenburger Umland. In gleicher Höhe brach auch der Absatz der Kuhmolkerei ein. "Das ist ein Riesenhappen", so von Maltzan. 100 Milchkühe musste das Ökodorf verkaufen, noch 60 stehen jetzt in den Ställen. Sie sollen bleiben, verspricht der Unternehmer. Auch der Verkauf von Getreide ging zurück. Die Berliner Bäckerei, die das Ökodorf unter anderem auch belieferte, verkauft ihre teuren Brötchen nicht mehr so gut an die Biomärkte. Damit sank der Bedarf an Mehl. "Wir haben noch ein gut gefülltes Getreidelager", sagt von Maltzan.
Nicht zuletzt kämpft das Ökodorf mit hohen Energiepreisen und gestiegenen Ausgaben. Deshalb werde gespart, wo es nur gehe. Statt zweimal im Jahr auf den Äckern Pflanzenreste unterzupflügen, geschehe das jetzt eben nur noch einmal, Abholfahrten bei zuliefernden Bauern würden reduziert. Entlastung bei den Energiekosten biete die neue Photovoltaikanlage. So schaffe es das Ökodorf, den Betrieb zumindest hart an der schwarzen Null zu halten. Trotzdem schlägt sich der Rückgang schon auf die Arbeitsplätze nieder. Vor einem Jahr hatte das Ökodorf noch rund 190 Mitarbeiter, jetzt sind es 150. Entlassen worden sei niemand. Viele hätten einfach von sich aus anderswo Beschäftigung gesucht.
Von einer großen Krise will der Unternehmer trotzdem nicht sprechen. "Es ist toll, wie die allermeisten Biokunden zu uns stehen", sagt er. Die Idee des Ökolandbaus sei keineswegs obsolet. Vor dem Ukrainekrieg sei der Absatz von Ökoprodukten überall gestiegen. Und auch jetzt wolle die Kundschaft "Bio". Nach dem ersten drastischen Rückgang beim Verkauf habe sich die Lage des Hofs stabilisiert. Inzwischen würde der Lieferservice wieder etwas mehr nachgefragt, auch Produkte wie Kuhmilchkäse und Kuhmilch liefen wieder besser.
"Mir geht's im Moment ganz gut", sagt von Maltzan. "Weil ich einen Plan habe, den ich gerade verfolge." Nach der Verkleinerung seines Kuhbestandes will er eine Tierhaltung mit mehr Platz und besseren Bedingungen für die Mitarbeiter schaffen. Zwei roboterartige Melkautomaten sollen angeschafft werden. Die reinigen und massieren selbst die Euter und bringen mit Laservermessung zielsicher die Melkbecher an. Die Tiere laufen ganz von selbst in diese Anlage. Dreimal am Tag können sie künftig gemolken werden. "Die Mitarbeiter werden dann viel mehr Zeit haben, die Kühe zu beobachten und zu betreuen", sagt von Maltzan. Finanziert werden soll das Vorhaben im sechsstelligen Bereich unter anderem durch Crowdfunding, also durch Spenden von Brodowin-Fans.
"Wir haben eine ganz stabile Kundschaft im Kern", sagt von Maltzan. Diejenigen, die sich in den vergangenen zwei Jahren abgewendet hätten, würden zurückkommen, da ist er sich sicher. "Die haben so ein Bewusstsein für den Klimawandel und für die alternative Landwirtschaft, das ist nicht weg. Und wir haben auch bewiesen, dass es geht." Die momentane Lage sei zwar eine Herausforderung. Am Ende sei sein Ökodorf aber nicht.