Obdachlose in Eckernförder Notunterkunft: "Ich will einfach nur hier raus!"
Source: KN - Kieler Nachrichten
Author: Andrea Bracht
Eckernförde. Im Herbst musste Gabriele B. (70) aus ihrer verschimmelten Wohnung raus. Sie wandte sich an die Stadt, die verwies sie in die Eckernförder Obdachlosenunterkunft. Seit einem halben Jahr lebt sie nun dort, einsam und verarmt. "Mit 900 Euro Rente finde ich einfach keine Wohnung", sagt sie resigniert und deutet auf die Baracken hinter sich. "Das ist alles, was von meinem Leben übrig ist."
Die 70-Jährige ist Eckernförderin durch und durch, hat früher in einer Fischräucherei gearbeitet - trotzdem reicht die Rente nicht mal ansatzweise für eine Wohnung in der Ostseestadt. In Eckernförde ist der Mietmarkt besonders angespannt. Unter zehn Euro pro Quadratmeter gibt's kaum was, auch nicht im Umland, und auf jede Wohnung kommen etliche Interessenten. Wer "Ostlandstraße" als aktuelle Adresse angibt, hat bei der Bewerbung schlechte Karten.
Die Miete nicht mehr zahlen zu können, das ist der Hauptgrund, aus dem Menschen in den Baracken in der Ostlandstraße landen. Die Notunterkünfte sind das von der Stadt gespannte Rettungsnetz, das den Sturz in die Obdachlosigkeit abfangen soll. Es gibt keine Heizung und kein fließend Warmwasser, damit man sich nicht zu wohl fühlt und sich schnell was Neues sucht.
Gabriele B. motiviert das allerdings nicht. Im Gegenteil: Die Lebensumstände in dem kleinen Zimmer, das sie mit Kohle beheizen muss, rauben ihr die letzte Energie. Alle ihre Bekannten seien gestorben, erzählt sie, sie könne sich an niemanden wenden. Am Anfang habe sie noch die Zeitungen durchforstet, mittlerweile habe sie aufgegeben. "Ich will einfach nur hier raus. Aber ich weiß nicht, wie." Sie wirkt depressiv.
Thomas R. (54) lebt ebenfalls in der Unterkunft. Er will noch nicht aufgeben. Thomas ist ein höflicher Mann, fast unterwürfig. Man kann ihm fünfmal das "Du" anbieten - lädt man ihn zum Frühstück ein und fragt, was er gern hätte, sagt er trotzdem: "Ich nehm', was Sie nehmen." Er wirkt ein bisschen wie jemand, für den es eigentlich gar keinen Platz gibt, der aber nunmal trotzem da ist und nun alles dafür tut, um ja nicht aufzufallen.
Mit drei Monaten ist er damals ins Kinderheim gekommen, erzählt er. Seine Eltern hat er nie kennengelernt. Mit 17 startete die steile Drogenkarriere. Thomas hat immer wieder Gesetze gebrochen, um das Zeug bezahlen zu können, nach dem sein Körper schrie - Crack und Heroin. Ein schreckliches Leben, sagt er, eine wilde Hetzjagd von einem Schuss zum nächsten. In der Zeit habe er "richtig viel geklaut", in Kiel und Umgebung.
Zwei mal kam er ins Gefängnis wegen Beschaffungskriminalität. Aber er hat es geschafft, vom Stoff loszukommen. Heute ist er clean. Er bekommt Methadon in einer Eckernförder Praxis, muss jeden Tag dort hin. Die Routine hält ihn "stabil". Selbst, als im Raum direkt nebenan regelmäßig Drogenpartys gefeiert wurden.
Thomas' Appartement liegt direkt neben dem, in dem im September des vergangenen Jahres ein Jugendlicher (17) am Mischkonsum von Heroin und Kokain verstorben ist. Thomas hat viel mitgekriegt. Er hat den Schlägertrupp gehört, der eines Nachts die Fensterscheibe nebenan einwarf und den Dealer zusammenschlug, "weil er Schulden hatte". Und die Drogenpartys, die der Dealer regelmäßig mit den Teenies gefeiert hat. "Das wussten alle hier. Alle wussten es. Die Polizei wusste es auch", sagt Thomas. "Aber die Razzia haben sie erst hinterher gemacht."
Das macht Thomas sauer, "dieses ewige Weggucken". Als die Kieler Nachrichten darüber berichtet hatten, dass sich der Sozialausschuss im März 2023 gegen einen Sozialarbeiter entschieden hatte - weil die Wohnungslosen bei der Stadt beraten werden könnten und eine Betreuung darüber hinaus laut Verwaltung weder erforderlich noch erwünscht sei - sind Thomas und einige seiner Nachbarn richtig wütend geworden. "Wenn da mal was käme, würden wir das doch annehmen!", ruft er. "Die machen sich das alle unheimlich leicht."
Thomas erzählt, dass Politiker auf dem Gelände gewesen waren. Sie hätten ihn ins Rathaus eingeladen, in den Sozialausschuss. Thomas hat sich getraut, weil er hoffte, Gehör zu finden. Doch Redezeit hatte er nicht bekommen, er durfte nur zuhören. Das hat ihn enttäuscht.
Schließlich wüssten er und seine Nachbarn am besten, woran's fehlt. An jemandem, der aktiv "auf die Leute zugeht", der sich "überhaupt mal interessiert". Einen, der "dranbleibt", "verlässlich" und "regelmäßig", "zu dem man vielleicht mal Vertrauen aufbauen kann". Das sagt Thomas. Das sagt auch Gabriele. "Aber uns fragt ja keiner."
Lesen Sie auch
Immerhin hätten die Drogenpartys aufgehört. Die Ermittlungen im Todesfall des 17-Jährigen dauern an, und seit dem Vorfall sei es ruhig in der Unterkunft. Noch, räumt Thomas ein, und erzählt, dass der Dealer von damals kürzlich angerufen und gefragt habe, ob er seine Bude wiederhaben könne. "Kannste dir nicht ausdenken." Thomas schüttelt den Kopf. "Aber die meisten wollen einfach nur hier raus. Dass man wenigstens einen Anfang finden würde. Aber hier gibt's einfach keinen Anfang."