100. Mal Körners Corner in Dresden: "Ich hätte mir mehr Kontroverse gewünscht"
Source: DNN - Dresdner Neueste Nachrichten
Author: Maxi Wollner
Dresden. Schon 100 Mal konnte man sich bei der Dresdner Veranstaltungsreihe "Körners Corner" im Rahmen von Werkschauen, thematischen Abenden und Premieren mit Filmschaffenden austauschen, Fragen stellen und Meinungen äußern - einfach auf Augenhöhe im Programmkino Ost über das Medium Film ins Gespräch kommen.
Ein passender Anlass, um den Spieß einmal umzudrehen und Andreas Körner, dem Initiator der Reihe, ein paar Fragen zu stellen. Kulturredakteurin Maxi Wollner sprach mit ihm nicht nur über die vergangenen 13 Jahre.
Frage: Am Mittwochabend lief die 100. Ausgabe von "Körners Corner". Wie ist das Format eigentlich entstanden?
Andreas Körner: In meiner jahrelangen Arbeit als Kulturjournalist fielen immer wieder auch Leserfragen zu Filmthemen an. Also habe ich geschaut, wo man mit ihnen hin könnte, um sie nicht immer wieder nur schriftlich zu beantworten, sondern mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die solche sich oftmals wiederholenden Fragen auf dem Herzen haben.
Mit meiner Idee ging ich im Sommer 2011 zu Jana Engelmann und Sven Weser vom Programmkino Ost - wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit - und meinte: Lasst uns doch in losen Abständen über Film reden. Jetzt nicht im Sinne einer klassischen Premieren-Reihe, bei der man zwar auf Menschen aus dem Filmteam trifft, das Gespräch aber selten über die Beantwortung der Standardfragen hinausgeht. Nein, ich wollte auch direkt in die Gewerke gehen und vom Casting über den Schnitt bis zur Filmkritik einfach mal alles im Einzelnen vorstellen, ganz nach dem Motto: Was Sie schon immer über Film wissen wollten. Die beiden sind ja sehr offen und so kam von ihnen ein "Klingt gut" und "Wir können uns noch nicht viel darunter vorstellen, aber lass uns das machen".
Seitdem ist die Reihe ein Selbstläufer?
Seitdem läuft es. Selbstläufer aber wäre das falsche Wort. Kommen nicht gerade Jürgen Vogel, Charly Hübner oder Jan Josef Liefers, ist es im Vorfeld eine ziemliche Anstrengung, um die Schäfchen in den Kinosaal zu holen. Aber es gibt längst liebgewonnene Stammgäste und immer wieder wechselndes Publikum, je nach Gast und Thema.
Jana und Sven vertrauen mir und ich vertraue ihnen. Wenn sie neue Filme mit Anfragen von Regisseuren oder von Schauspielern haben, schaue ich, ob das thematisch passt und ob ich damit auf verschiedenste Weise etwas anfangen kann. Wir müssen nicht konsequent hinter jedem Film stehen, wenn das Thema total interessant ist.
Und wenn ich wiederum irgendeinen kleinen Film anschleppe, von dem Jana und Sven vielleicht noch nie gehört haben, sind sie immer aufgeschlossen. Es war und ist ja ein Wechselspiel zwischen den kleinen und den großen Filmen, zwischen bekannten und weniger prominenten Regisseuren und Schauspielern und dann eben wieder zu Themen wie Drehbuch, Soundtracks oder Filmproduktion.
Wir haben immer wieder auch die Dresdner Kino- und Kulturszene einbezogen, hatten im letzten Jahr beispielsweise die temporär in Dresden wohnende Tänzerin Fine Kwiatkowski da. Zunächst ist sie ja eine DDR-Ikone, die aber heute noch freien Ausdruckstanz lebt und viel unterwegs ist. Fine kam mit ihrem Mann, dem Musiker Willehad Grafenhorst. Hier lieferten experimentelle Kurzfilme der beiden den Rahmen. Und beim Schlagzeuger Baby Sommer, mit dem wir seinen 80. Geburtstag feierten, war es die Dresden-Premiere eines neuen Porträtfilms über ihn.
Die kleineren Filme und Themen locken das Publikum trotzdem an?
Ich bin sehr froh, wie die Reihe angenommen wird, nämlich in ihrer Mischung. In der ersten Veranstaltung kamen 40 Gäste, bald schon 100, im Saal eins sind es dann oft über 200. Ich liebe die Nummer kleiner, weil sie einen echten Gesprächscharakter ermöglicht. Wir haben stets versucht, die Besucher mit einzubeziehen, damit sie nicht denken, sie bekommen hier nur etwas vorgesetzt. Sie sollen mit ihren Fragen und Meinungen keine Scheu haben. Deswegen haben wir es auch "reden über Film" genannt und nicht "Da sitzen welche vorn, die erzählen uns was".
Bei der schnell ausverkauften Porträt-Veranstaltung zu und mit Christian Friedel war es letztens sehr besonders. Da kamen neben dem treuen Stamm an Gästen, die das einfach nicht verpassen wollten, eben auch die Musikleute, die Theaterleute, die Filmleute. Es war eine wunderbar bunte Mischung aus verschiedensten Typen.
100 Mal Reden über Film: Was waren die Highlights, was hat gefehlt?
Es ist eigentlich nicht fair, einzelne Gäste aufzuzählen, aber zu den Highlights großer Namen, die sich weit über eine Stunde Zeit für unser Gespräch genommen haben, gehörten Wolfgang Kohlhaase, Tom Tykwer, Michael Gwisdek, Jiri Menzel oder immer wieder Andreas Dresen. Großartig sind aber auch die Entdeckungen noch unbekannter Namen, gerade aus dem Dokumentarfilmbereich.
Eine der für mich schönsten Veranstaltungen war die 27. Corner mit einer der fähigsten und beliebtesten Castingdirektorinnen Deutschlands, Simone Bär. Sich von ihr erzählen zu lassen, wie und wer für einen Film besetzt wird, war großartig und erhellend. Leider ist Simone Bär Anfang letzten Jahres gestorben. Was für ein Verlust!
Wenn ich Bilanz ziehen soll nach 100 Mal Corner: Ich hätte mir mehr Kontroverse gewünscht. Es ist nicht so, dass wir die streitbaren Themen nicht angepackt hätten. Wir hatten Umweltthemen dabei, wir hatten politische Themen dabei. Wir haben die Pegida-Zeit durchgemacht. Als Pegida im Dezember 2014 über 20 000 Menschen auf den Theaterplatz gezogen hat, haben wir im Januar 2015 "Wir sind jung. Wir sind stark." über die Rostocker Angriffe auf vietnamesische Menschen gezeigt und Regisseur Burhan Qurbani sowie Drehbuchautor Martin Behnke zu uns geholt.
Da haben wir schon gehört, dass sich draußen einige versammeln werden. Im Kinosaal aber war von Gegenwind kaum etwas zu spüren. Ich will nicht klagen, denn ich habe auf der anderen Seite wirklich Glück, immer wieder solch ein aufmerksames, ruhiges, interessiertes, einfach zugewandtes Publikum zu haben.
Gibt es noch offene Themen für die nächsten 100 Folgen von Körners Corner?
Ich will unbedingt noch eine Corner zur Kameraarbeit veranstalten und dafür gerne eine Kamerafrau ins Gespräch holen, die großartige Judith Kaufmann zum Beispiel. Es gibt immer so den Spruch: "Die Kamera ist doch zu schwer für die Frau." Dass es so wenige Kamerafrauen gibt, liegt aber gewiss nicht am Gewicht der Kamera, sondern weil es Männer den Frauen einfach nicht zutrauen.
Gern würde ich auch noch etwas zu Licht, Ausstattung und Kostüm machen, weil ich selbst sehr darauf achte, wie stimmig diese Sektionen im Film sind. Auf der anderen Seite sehe auch ich natürlich weder auf das eine noch das andere, wenn mich zuerst die Geschichte packt.
Und warum in drei Teufels Namen haben wir uns jemals an Synchronisation gewöhnt und nie an die untertitelten Originale? Für Fragen wie diese würde ich gern jemand vom Fach einladen. Vielleicht gibt es ja dort etwas Kontroverse, denn ich habe mal eine Umfrage angezettelt, die ging gar nicht gut aus für die Originale...
Wie schaut es mit einer Corner zum Thema Animationsfilm aus?
Ein Abend mit Ralf Kukula von Balance Film steht schon lange auf dem Plan. Warum soll ich Animationsfilm mit internationalen oder Berliner Leuten besprechen, wenn ich in Dresden einen habe, der nicht nur darüber reden kann, sondern sehr erfolgreich Animationsfilme produziert?
Stehen für dieses Kinojahr Filme in den Startlöchern, die Du besonders empfiehlst?
"In Liebe, Eure Hilde" von Dresen. Er ist längst fertig, lief zur Berlinale im Wettbewerb und wartet jetzt auf einen günstigen Start im Herbst. Ein berührender und starker Film, für den ich das umfangreiche Pressematerial geschrieben habe und mich freue, wenn er endlich von vielen, vielen Menschen gesehen wird.
Und ich freue mich auf den neuen Tykwer. Es ist gut zu wissen, dass er - neben all der Arbeit an "Babylon Berlin" - wieder Kino macht. "Das Licht" mit Lars Eidinger und Nicolette Krebitz könnte fein werden.